Nutzung von Informatik und Elektronik zur Systemanalyse und Unterstützung einer nachhaltigen Landbewirtschaftung.

Habilitationsschrift von Dr. agr. habil. Thomas Engel

Zusammenfassung


Als Leitgedanke für die Zukunft wird heute die Nachhaltigkeit der Landwirtbewirtschaftung angesehen. Diese Sichtweise ist jedoch nicht neu und wurde bereits Anfang des 19. Jahrhunderts von von Wulffen propagiert, der als Pionier auf diesem Gebiet angesehen werden kann. Von Wulffen erkannte auch, daß eine Systemanalyse zum Verständnis der Dynamik des Gesamtsystems Boden-Pflanze-Atmosphäre notwendig ist. Zur Systemanalyse stehen uns heute eine Vielzahl von Hilfsmitteln aus den Bereichen Informatik und Elektronik zur Verfügung, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Dazu gehören die Beschaffung von Informationen mittels elektronischer Informationsquellen und die Datenerhebung durch Sensoren, aber auch die gezielte Auswertung dieser Informationen durch Software.

Informationsbeschaffung und -bereitstellung sind Schlüsseltechnologien der Zukunft. Ein wesentlicher Teil der Arbeit beschäftigt sich daher mit diesem Bereich. In einem Überblick werden Technik und Funktionsweise neuer Informationstechnologien beschrieben. Hardwaretechnisch können Online-Systeme und Offline-Systeme unterschieden werden. Online-Systeme beschaffen Informationen durch eine Verbindung zu externen Rechnern über die Telefonleitung, während Offline-Systeme meist auf CD-ROM auf dem lokalem Rechner vorliegen. Softwaretechnisch erfolgt eine Untergliederung in hierarchische Systeme und Hypermedia-Systeme.

Als Beispiel für Hypermedia-Systeme wird HYPP (Hypermedia for Plant Protection) präsentiert, welches im Rahmen eines EU-Projektes entwickelt wurde. HYPP ist ein CD-ROM-gestütztes Informationssystem für den Pflanzenschutz mit Bild- und Textinformationen über mehr als 1000 bedeutsame Schaderreger im europäischen Pflanzenbau. Dazu zählen Unkräuter und Ungräser, Krankheiten und Schädlinge. Neben Zielsetzung, Zielgruppen und Umfang des Systems erfolgt eine detaillierte Beschreibung der Benutzeroberfläche sowie der unterschiedlichen Benutzermodi. HYPP unterstützt den Landwirt vor allem bei der Diagnose von phytosanitären Problemen, da nur bei richtiger Diagnose auch die richtigen Maßnahmen zur Kontrolle des Schaderregers ergriffen werden können.

Als Informationsquellen, auf die online zugegriffen werden kann, können Mailboxen dienen. Bedeutsamer sind jedoch Online-Dienste sowie das Internet, welche daher ausführlicher dargestellt werden. Die wichtigsten vorhandenen Online-Dienste werden bezüglich ihrer Zugangsmöglichkeiten und ihrer für die Landwirtschaft interessanten Informationen vorgestellt. Die Beschreibung konzentriert sich auf  T-Online, den Online-Dienst mit den meisten Mitgliedern, den besten Zugangsmöglichkeiten und dem größten landwirtschaftlichen Informationsangebot. Die derzeitigen Entwicklungen deuten jedoch darauf hin, daß Online-Dienste im Vergleich zum Internet an Bedeutung verlieren werden, weshalb das Internet sehr ausführlich behandelt wird. Neben Technik und historischer Entwicklung werden die Dienste des Internet vorgestellt, welche zum Informationsabruf, zur Informationssuche sowie zur Kommunikation verwendet werden können. Dabei steht das World Wide Web (WWW) als wichtigster Informationsdienst im Vordergrund. Als Beispiele für das Informationsangebot im WWW werden das Deutsche Agrarinformationsnetz (DAINet), das Bayerische Landwirtschaftliche Informationssystem (BALIS) sowie eigene Entwicklungen, wie "Phacelia Online", erläutert.

Die neueren Entwicklungen in den Bereichen Elektronik und Sensorik ermöglichen die automatische Erfassung einer Vielzahl unterschiedlichster Daten, die bei der Analyse der räumlichen und zeitlichen Dynamik des System genutzt werden können. Als Voraussetzung dafür dient die Ortung mit Hilfe des "Global Positioning Systems (GPS)", dessen Funktionsweise und Nutzungsmöglichkeiten für die Landwirtschaft geschildert werden. Die Ortung ermöglicht die Durchführung einer teilflächenspezifischen Landbewirtschaftung. Als Grundlage dafür werden GPS-gestützte Ertragskartierung und Bodenuntersuchung, sowie die heute verfügbaren Möglichkeiten zur Fernerkundung (Satellitenbilder, Luftbilder, Spektrometermessungen) untersucht. Die vorhandenen Ansätze und bestehenden Probleme bei der Durchführung einer teilschlagspezifischen Düngung sowie eines teilschlagspezifischen Pflanzenschutzes werden diskutiert. Wenngleich keine abschließenden Aussagen über die ökonomischen Auswirkungen einer teilschlagspezifischen Bewirtschaftung möglich sind, dürften vor allem die positiven ökologischen Aspekte die Nachhaltigkeit der Landbewirtschaftung stärken.

Die Beschreibung der vorhanden Softwareprogramme zur Auswertung der Daten sowie zur Entscheidungsunterstützung beginnt mit der Schlagkartei, die derzeit als Standardprogramm für den Ackerbaubetrieb angesehen werden kann. Nach einem Rückblick auf die Entstehung der EDV-Schlagkartei erfolgt die Beschreibung der zahlreichen Nutzungs- und Auswertungsmöglichkeiten. Mit Hilfe einfacher Bilanzierungsverfahren oder einer Deckungsbeitragsrechnung lassen sich Schwachstellen in den Anbausystemen der landwirtschaftlichen Betriebe lokalisieren. Als Hauptproblem für inner- und überbetriebliche Auswertungen hat sich jedoch immer wieder die mangelnde Qualität der enthaltenen Daten herausgestellt. Deshalb wird eine Programm vorgestellt, welches aufbauend auf Ansätzen aus der Fuzzy Logic Schlagkarteidaten auf ihre Plausibilität prüft.

Ein weiteres Kapitel beschreibt die Nutzungsmöglichkeiten von Planungsprogrammen  im Pflanzenbau. Beispielhaft wird dazu der Aufbau und die Funktionsweise eines Programms zur Düngeplanung erläutert. Neben den Vorteilen für den Landwirt werden auch die Schwachpunkte solcher Programme, wie die mangelnde Berücksichtigung der ökologischen Auswirkungen unterschiedlicher Düngeformen, diskutiert.

Andere wichtige Programme zur Entscheidungsunterstützung sind Expertensysteme und wissensbasierte Systeme. Sie versuchen das Fachwissen und die Problemlösungskompetenz von Spezialisten in einem Fachgebiet am Computer abzubilden und somit einer breiten Nutzerschicht zugänglich zu machen. Auch in der Landwirtschaft wurden viele Systeme mit dieser Zielsetzung entwickelt. Zunächst erfolgt eine Einführung in die Merkmale, den erwarteten Nutzen und den Aufbau von Expertensystemen. Die Vielzahl der vorhandenen Systeme wird durch die Analyse von insgesamt 59 national und international publizierten Expertensystemen untermauert, welche vor allem die Bereiche Pflanzenschutz, Pflanzenbau und Düngung abdecken. Als Beispiel für ein bedeutendes deutsches Expertensystem wird PRO_PLANT vorgestellt. Ein kurzer Rückblick auf ältere Entwicklungen aus dem eigenen Haus (FROTEX, HERB-OPT und HERBIDEX) rundet den Überblick über Expertensysteme ab.

Als Beispiel für Expertensysteme wird GUELLEX ausführlich dargestellt, ein wissensbasiertes System zur umweltschonenden Gülleausbringung, das in den vergangenen Jahren entwickelt wurde. Nach der Schilderung der Aufgabenstellung erfolgt eine detaillierte Erläuterung des verwendeten Lösungsansatzes. Die Beschreibung der Systemarchitektur von GUELLEX umfaßt die Darstellung der einzelnen Systemkomponenten, wie der Datenbank, der Datenerfassung, der Klassifikation und der Auswertung. Das System zeichnet sich durch eine extreme Flexibilität und Offenheit aus und kann vom Benutzer an seine Bedürfnisse angepaßt werden. Besondere Beachtung verdient die Benutzerfreundlichkeit des Systems. Die Ergebnisse der Berechnungen können in Textform, als Graphik oder im Form von thematischen Karten ausgegeben werden. Eine umfangreiche Hilfefunktion zur Bedienung wird durch ein Fachinformationssystem mit Expertenwissen zur Gülledüngung ergänzt.

Simulationsmodelle können als klassische Werkzeuge zur Systemanalyse bezeichnet werden, weshalb sie in der vorliegenden Arbeit ausführlich analysiert werden. Nach der Definition und Klassifikation von Simulationsmodellen erfolgt ein umfangreicher Überblick über die potentiellen Einsatzmöglichkeiten von Simulationsmodellen, welcher durch nationale und internationale Anwendungsbeispiele illustriert wird. Hauptanwendungsgebiete waren bislang vor allem die Risikoanalyse mittels Szenarienrechnung und die Klimafolgenforschung. Mittlerweile werden Simulationsmodelle aber auch im Pflanzenbaumanagement (Pflanzenschutz, Düngung) eingesetzt. Beispielhaft wird die Vorgehensweise zum Einsatz von Simulationsmodellen in der Düngeberatung veranschaulicht. Daß Simulationsmodelle bislang noch keinen Eingang in die praktische Landwirtschaft gefunden haben, liegt an noch vorhandenen Problemen, die im Einzelnen aufgeführt werden.

Simulationsmodelle haben jedoch bereits eine Güte erreicht, die einen Einsatz in der Praxis zulassen, was am Beispiel des Simulationssystems "Expert-N" gezeigt wird. "Expert-N" ist ein Baukastensystem zur Stickstoffdynamik, welches von unterschiedlichen Nutzergruppen (Landwirt, Berater, Wasserwirtschaft, Forschung) für unterschiedliche Zwecke verwendet werden kann. Zunächst erfolgt eine kurze Beschreibung von Konzeption und Benutzeroberfläche sowie der enthaltenen Simulationsansätze. Anschließend wird die Güte des Programms anhand zweier praktischer Beispiele illustriert. Im Auftrag des Landeskuratoriums für pflanzliche Erzeugung (LKP) wurde der Verlauf der Stickstoffdynamik im Winter 1996/97 auf 42 Schlägen in Bayern untersucht und simuliert. Es konnte gezeigt werden, daß "Expert-N" in der Lage ist, den Nmin-Wert im Frühjahr mit ausreichender Genauigkeit zu simulieren. Im Rahmen eines Versuchs der Bayerischen Landesanstalt für Bodenkultur und Pflanzenbau (LBP) wurde "Expert-N" in einem dreijährigen Düngungsversuch auf 6 Standorten in Bayern zur Ableitung von Düngeempfehlungen mit vier anderen Düngesystemen verglichen. Die Ergebnisse zeigen, daß auf Simulationsergebnissen aufbauende Düngeempfehlungen vergleichbare Erträge liefern, im Hinblick auf die N-Ausnutzung teilweise sogar überlegen sind.

Zur Speicherung räumlicher Daten haben sich geographische Informationssysteme (GIS) bewährt. Auch in der Landwirtschaft bieten sich zahlreiche Einsatzmöglichkeiten, die in der vorliegenden Arbeit dargestellt werden. GIS-Systeme werden immer dann eingesetzt, wenn Aussagen für ein Gebiet oder eine Region gemacht werden sollen. Die beispielhaft beschriebenen Anwendungen betreffen die Bereiche Anbauplanung, Landschaftsplanung, Wasserschutz und Bodenschutz. Daneben erfolgt eine genauere Darstellung des Programms AEGIS/WIN (Agricultural and Environmental Geographic Information System for Windows). AEGIS/WIN wurde im Rahmen eines Studienaufenthaltes des Autors an der Universität von Florida entwickelt. Zielsetzung der Programmentwicklung war die Kopplung eines GIS mit dem Simulationssystem DSSAT (Decision Support System for Agrotechnology Transfer), um Simulationsergebnisse räumlich darstellen und analysieren zu können.

Die heutigen Einsatzmöglichkeiten von Informatik und Elektronik unterstützen den Landwirt bei der Umsetzung einer nachhaltigen Landbewirtschaftung. Die zunehmende Verbreitung von PC's und Bordelektronik sowie zunehmende administrative Auflagen werden den Einsatz von Informatik und Elektronik weiter fördern. Für den Übergang zu einer teilflächenspezifischen Bewirtschaftung ist es jedoch notwendig, ein GIS-basiertes Managementsystem für den Pflanzenbau zu entwickeln, welches die bisherigen "Insellösungen" zu einem Gesamtsystem zusammenführt. Außerdem ist die Bedienung zu vereinfachen und die Kommunikation zwischen den einzelnen Hardwarekomponenten zu standardisieren.